Die Stille in der Palliativen Atembehandlung

Veröffentlichung in ATEM. Die des Berufsverbandes Ausgabe 2-22

Der Atem verbindet uns miteinander. Ob krank oder gesund in palliativen Situationen oder nicht – der Atem verbindet uns mit uns selber, mit anderen und mit dem Lebendigen überhaupt. Er ist kein Werkzeug oder ähnliches, was ich benutzen kann. Der Atem ist fü r mich das Leben selber. Und insofern ist der Atem reine Gegenwart. Um nur einige der Eigenschaften zu nennen: Der Atem ist überall, universal, zeitlos, raumlos, unendlich, uneergündlich für unseren Verstand, frei, vielfältig, kraftvoll, energetisch und überall gleichzeitig, flie'end, nicht festzuhalten.
Also eine unglaubliche – wie soll man es nennen' – Lebensenergie, Kraft, Schwingung' Ja ich wei' immer noch nicht wirklich welcher Begriff passt.
Vielleicht geht es beim Atem tatsächlich nur um Erfahrung jenseits des Begrifflichen'

Der wärmende Mantel

Palliativ – der Begriff ist schon leichter zu klären. Er bedeutet im weitesten Sinne: mit einem schützenden, wärmenden Mantel umhüllen. Und es geht im palliative Care (Dame Cyceli Saunders) vor allem um die Linderung von quälenden Symptomen wie z.B. Atemnot, Schmerzen, Angst, Unruhe, übelkeit damit eine gute Lebensqualität erhalten wird und ein Sterben in Würde möglich sein kann. Im Alltag auf der Palliativstation hei't das häufig: das Team kümmert sich darum den Patienten und die Angehörigen darin zu unterstützen, dass die Symptomatik besser werden kann. Medikamente, Gespräche, erleichternde Pflege, kräftigende oder entspannende Physiotherapie, oder auch psychologische Betreuung und Seelsorge. Meistens geht es darum, irgendetwas zu tun, damit Linderung eintritt.
Diese Haltung und Konzentration auf das Tun wird inzwischen sogar – wenn auch leise – von namhaften Palliativmedizinern infrage gestellt: Der frühere ärztliche Leiter unser Palliativstation im Uniklinikum München Grosshadern, Prof. Gian Domenico Borasio schreibt zum Beispiel in seinem Buch: über das Sterben: “Wenn ein alter Mensch friedlich einschlief, hie' es früher, er sei eines natürlichen Todes gestorben.” Die Medizin hat in letzter Zeit begonnen, sich wieder für das Sterben zu interessieren, statt es nur bekämpfen zu wollen. Letztlich geht es hier um die Wiederentdeckung des natürlichen Todes. Um das, was ich das liebevolle Unterlassen am Lebensende nenne. Wozu manchmal mehr Mut gehört als zum Tun. ' Diese natürlichen Prozesse laufen dann am besten ab, wenn sie von ärzten möglichst wenig gestört werden'.'

Liebevoll geschehen lassen

So begleiten wir in der Palliatven Atembehandlung zum letzten Ausatmen auf der Welt. Indem wir liebevoll geschehen lassen. Wenn ich ich Kontakt aufnehme mit einen Patienten, mit Angehörigen, aber auch mit Kollegen oder mit mir selber.
In der Atembehandlung ist da für mich zuallererst ein Mensch, der atmet. Da ist kein Kranker, kein Leidender, kein Sterbender, kein besorgter Angehöriger, kein Palliativpatient usw. ' da ist ein Mensch der atmet genau wie ich. Da ist ein Mensch, der lebt (genau wie ich). An diesem Schnittpunkt treffen wir uns. Und zwar genau jetzt in diesem einzigartigen Augenblick. Jeder mit seiner ganz speziellen Bedingtheit und Verfasstheit so wie sie in diesem Moment, durch unsere Atemschwingung gespiegelt wird. Jeder mit seinen einzigartigen Sein, was immer auch Atem ist. Sein und Atem ist für mich synonym. Da treffen wir uns in einem einzigartigen, sehr persönlichen individuellen und zugleich überpersönlichem Raum, der nur genau in diesem Augenblick in diesem Atemzug geschieht und im nächsten schon wieder völlig anders ist.

Da ist ein Mensch, der atmet

Auch wenn ich zur Sterbebegleitung bei jemand bin, bin ich in Verbindung mit dem Menschen, der atmet. Mit der schwingenden, atmenden Gegenwart mit dem Leben wie es grade ist. Und das habe ich für mich erkannt durch viele viele Sterbebegleitungen, selbst wenn dieser Mensch dann nicht mehr atmet, bin ich immer noch mit dem Leben verbunden, denn der Atem oder auch “das Jetzt” schwingt weiter.
Das klingt paradox und ist nicht erklärbar. Aber das Leben stirbt nicht. Im Gegenteil. In dem Augenblick, in dem ein Mensch nicht mehr einatmet, erscheint es mir, als sei das wie eine Art Verdichtung des Lebendigen, ein Ankommen auf genau diesem einen einzigen Punkt in der Gegenwart. Als wenn das ganze Leben genau hier jetzt zusammen kommt. Manchmal fühlt es sich sogar an wie sehr starke Energie oder sogar Freude, und immer – das habe ich noch nie anders erlebt – wie tiefe stille Liebe oder LEBEN-digkeit, die alles umfasst. Ich glaube, das ist ähnlich wie bei einer Geburt.

Je tiefer Begegnungen sind, desto stiller

In den vielen Begleitungen von kranken und sterbenden Menschen in den vergangenen dreizehn Jahren habe ich auch immer deutlicher gemerkt, dass es oft passiert ist, dass es sehr still geworden ist während der Anwesenheit. Und so bin ich mehr und mehr dazu gekommen, dass die palliative Atembegleitung für mich in erster Linie nicht ein Tun ist sondern ein liebevolles Geschehen lassen und in diesem Geschehen lassen anwesend und präsent bleiben. Es ist eigentlich ein öffnen für das was sowieso ist und ein tiefes Lauschen; – vielleicht auf das Rauschen des Lebendigen'
Diese Stille kann in einem kurzen Augenblick geschehen, in einer Berührung oder auch während einer längeren Behandlung, vielleicht auch nur in einem Blick oder manchmal einfach nur in einem Laut oder einer Bewegung, in einem Ausatmen z.B. . Das ist ganz unterschiedlich und nach meiner Erfahrung überhaupt nicht von mir beeinflussbar. Denn genauso plötzlich wie diese Erfahrung der Stille einfach da ist, genauso plötzlich ist es auch wieder weg. Dann wird es wieder laut, viele Gedanken im Kopf, Erwartungen, Anforderungen etc.
Diese Erfahrung, dass es so still wird, hat mich sehr erstaunt. Da war etwas, was einfach passierte und ich wusste eigentlich nicht wie. Was habe ich denn gemacht, dass es einmal ging und ein anderes Mal nicht'
Und so habe ich da weiter geforscht und gemerkt, dass ich mit berlegungen oder mit bestimmten Behandlungsgriffen oder Behandlungsabläufen, oder mit Erklärungen, die ich gesucht habe oder mit irgendeinem systematischen Wissen, das ich finden wollte, überhaupt nicht weiter kam. Irgendwann fing es dann an, dass ich, ohne zu wissen wie, einfach dieser Stille vertraut habe. Und so bekam das Lauschen zu dieser Stille für mich mehr und mehr Bedeutung. Ich habe dann auch gemerkt, dass die Stille kein Geschehen ist, auch nicht ein Ort, oder ein Raum, sondern etwas anderes, etwas, das ich nicht herstellen kann, das ich gar nicht greifen kann, das aber von vorneherein da ist und was eigentlich weg ist in dem Moment, wo ich anfange, darüber nachzudenken oder es definieren oder festhalten möchte. Dieses unbestimmte Etwas ist sehr ausgedehnt, sehr weit und hat keine Grenzen. Und ist wie das Lauschen selber, immer genau da und genau so weit, wie mein Lauschen. Also ich konnte nichts finden, wo ich sagen konnte, ah da ist jetzt die Stille zuende. Da geht es nicht weiter. Also dieses Lauschen nach innen in diese Räume oder eben besser: in diese Weiten oder Tiefen noch jenseits des bewegten und bewegenden Atems wurde in der Arbeit – speziell in der Sterbebegleitung – immer wichtiger für mich.

Sterbebegleitung ist Lauschen auf die Stille

Und ich habe auch gemerkt, dass sich dieses nach innen Lauschen ausbreiten kann in die Umgebung, dass also diese Grenzenlosigkeit nicht bei meinem Körper oder Geist aufhört sondern sich (ich sage das Wort, weil ich den Vorgang nicht kenne ) “überträgt” auf die Umgebung und die Menschen, im Raum speziell auch die Menschen, die ich im Moment berühre, behandle.
Lauschen dahin, wo wir geatmet werden und der willentliche Einfluss nicht hinreicht. Da sind tiefe unbewusste autonom ablaufende Lebensprozesse zum Beispiel in den Zellen, die die Nahrung Sauerstoff in Energie verstoffwechseln. Das geht auch, wenn es laut ist rundherum. Aufgeregte Angehörige, von Schmerzen oder Angst verkrampfte Patienten, traurige oder wütende Gefühle. Verzweifelte Versuche die Krankheit zu bekämpfen, zu erklären oder mit ihr zu hadern.
Mir ist auch bei den vielen Sterbebegleitungen immer klarer geworden, dass der Wandel vom Leben zum Tod in dieser Stille geschieht. Und zwar im Atemzyklus von Ein – Aus und Pause tatsächlich in der Atempause nach dem Ausatem; nicht beim Einatmen nicht beim Ausatmen, sondern erst nach dem Ausatem in der Stille des Nicht Atmens. Aus dem Unbekannten, dem Nicht Atmen kommen wir mit dem nächsten Einatem neu lebendig hervor oder wir bleiben still dort, wenn kein neues Einatemgeschenk empfangen werden kann.
Lauschen ist Annehmen
Lauschen ist nicht neutral im Sinne von sachlich. Sondern es ist grundsätzlich annehmend, es lehnt nichts ab. Wenn es etwas ablehnt, dann ist es kein Lauschen mehr. Lauschen ist eine öffnung, ein Empfangen. Wenn ein Nein auftaucht, dann kann ich sicher sein, dass ich herausgefallen bin und im Urteilen bin, im Ablehnen oder Zustimmen, und nicht mehr im freien Sein mit der Schwingung die so ist, wie sie ist.
Für die Atembehandlung bedeutet diese innere Verbindung mit dem Leben und Lauschen auf die Stille, die ich für wesentlich halte in der palliativen Atemtherapie, dass ich nicht auf Veränderung ausgerichtet bin. D.h. ich arbeite nicht gezielt an der Verbesserung z.B. der Symptome (wie Physiotherapie, Psychologie, ärzte, Pflege) sondern bin im Annehmen und im Ja. Im Sosein.
Und genau dann geschieht manchmal dieses Wunder: Symptome wandeln sich von alleine: Atemnot, Schmerzen, Angst, Unruhe, übelkeit, Spannung aller Art lösen sich plötzlich und es flie't ein stiller ruhiger Fluss um im Bild zu sprechen.