Die Fachklinik für integrierte Psychosomatik und Ganzheitsmedizin, in der ich einige Jahre als Atemtherapeutin arbeitete, ist eine der wenigen Kliniken, die die Atemtherapie voll in das therapeutische Konzept eingebunden hat.
Die Belegungskapazität lag in der Zeit als ich dort war bei 165 Betten für Patienten und weiteren 35 für Begleitpersonen, meistens Kinder, manchmal auch Ehepartner. Die Patienten blieben im Schnitt etwa zehn Wochen stationär. Jeder Patient hatte einen Arzt und einen Psychologen zur Betreuung. D.h. jeder Patient wurde körperärztlich betreut und bekam wöchentlich mindestens eine Einzelstunde Psychotherapie bei seinem Bezugstherapeuten. Je nach Diagnose nahmen die Patienten an mehreren verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologisch oder systemisch ausgerichteten Gesprächsgruppen teil und an den Kreativtherapien, zu denen auch die Atemtherapie gehörte. Daneben gabt es die verschiedensten Angebote wie Krankengymnastik, Physiotherapie, Massage und Sport.
Indikationen für den Aufenthalt in der Klinik sind psychosomatische, depressive und psychoreaktive Erkrankungen, sowie Angsterkrankungen und Pers'nlichkeitsstörungen. Ausserdem werden in der Klinik Patienten mit Schmerzstörungen und Essstörungen behandelt. Weitere Indikationen sind Residualzustände nach Psychosen und Posttraumatische Belastungsstörungen.
Die Atemtherapie zählt zu den Kreativtherapien
wie auch Tanz und Gestaltung. Wir waren zwei Atemtherapeutinnen, zwei Gestaltungstherapeuten und eine Tanztherapeutin. Etwa die Hälfte der Patienten besuchte die Atemtherapie. Meine Kollegin arbeitete halbtags. Sie hatte fünf Gruppen, zwei Erwachsenengruppen und drei Kindergruppen. Ich arbeitete Montag mit Donnerstag ganztags (28 Stunden) und hatte insgesamt acht Gruppen mit im Schnitt etwa acht erwachsenen Patienten. Jede Gruppe kammt zwei mal die Woche für eine Stunde, so dass ich am Tag vier Gruppen hatte. Daneben waren zwei bis vier Stunden pro Woche Zeit für Einzelbehandlungen und täglich eine Stunde für Besprechungen mit Stationsteam oder/und Bezugstherapeuten. In Einzelbehandlung waren die Patienten je nach Dauer des Aufenthaltes vier bis acht mal, in der Gruppe sah ich jeden Patienten bei einem durchschnittlichen Aufenthalt von zehn Wochen etwa achtzehn mal. In dieser Zeit passierte bei manchen Patienten sehr viel.
Die Atemtherapie ist wie die anderen Kreativtherapien in das gesamte Therapiekonzept für jeden einzelnen Patienten mit eingebunden – auch für die Kinder. In der Klinik gab es damals vier Stationen: eine Mutter-Kind-Station, eine für Schmerzpatienten, eine für hauptsä'chlich internistische psychosomatische Erkrankungen und Ess-Störungen wie Bulimie oder Adipositas und eine Privatstation mit 15 Betten. Zwei mal die Woche war ich auf jeder Station bei den Teambesprechungen dabei, stand für Fragen zur Verfügung und berichtetea von den Atemstunden. Im Team gibt es die Möglichkeit zu Gespräch und Austausch mit dem behandelnden Psychotherapeuten, sodass die therapeutischen Interventionen besprochen und abgestimmt werden können. Bevor ein Patient in die Atemstunde kam, bekam ich einen Bericht mündlich und schriftlich, über die Diagnose des Patienten, über seine Therapieziele und über wichtige lebensgeschichtliche Ereignisse. Während des Aufenthalts hatte ich Einblick in die Akten und war im Austausch mit den Bezugs- und den Gruppentherapeuten. So konnte ich in der Atemtherapie zum Beispiel mit bestimmten Angeboten auf bestimmte Problematiken bei Patienten eingehen oder dem Bezugstherapeuten Hinweise auf Gespräche und Themen geben, die in der Atemstunde auftauchten.
Als Atemtherapeutin hatte ich ein Kontingent für Einzelstunden. Hier hatte ich die Möglichkeit, Patienten aus den Gruppen vorzuschlagen oder mit Patienten zu arbeiten, die von den Psychologen vorgeschlagen wurden. “Atemeinzel” gibt es in der Regel für Menschen mit starken Depressionen und/oder Ängsten und Panikattacken, die sie zunächst daran hindern an Gruppen teilzunehmen, für Menschen, die für eine Weile besondere Zuwendung brauchen und für Patienten, die den Zugang zu ihrem Körper noch nicht finden können. So wie Frau N.
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Die Atemtherapie ist bei den Patienten in der Regel beliebt. Die meisten sehen sie zunächst als gute Möglichkeit der Entspannung oder des “Abschalten-könnens”. Für einige geht es tiefer und sie erkennen den Atem als Mittler ihrer Gefühle oder sogar als Anker im Sturm. Ich bekomme immer mal wieder Briefe von ehemaligen Patienten, besonders von Angstpatienten, die beschreiben, wie Dehnübungen und der dadurch angeregte und vertiefte Atem sogar in Paniksituationen nachhaltig geholfen und beruhigt hat. Besondere Aha-Erlebnisse löse ich auch immer wieder mit den Angeboten aus, sich zu lassen: dass die Lösung geschieht und nicht gemacht werden muss, dass der Atem geschenkt wird und nicht geholt werden muss. Dieses Erleben öffnet fü'r manche Patienten tatsächlich das Tor zum Sein. Manchen gibt es auch einen neuen Blick auf ihr Tun – und Lassen – und sie beginnen eine Ahnung davon zu bekommen, was es heißt, sich und ihr Leben, auch ihr Schicksal anzunehmen, so wie es ist, nicht wie es sein sollte.
Download des ausführlichen Artikels aus dem Buch Atem-Wege. Arbeitsfelder in der Atemtherapie