Palliative Atemtherapie

ist eine spezielle Form der Atemtherapie.

Sie kann Ängste und Nöte von unheilbar kranken Menschen lindern und den Sterbeprozess und Wandlungsprozesse am Lebensende begleiten. Sanfte Berührungen, Streichungen, geführte Bewegungen und leichte Massagen wirken hierbei lösend, lindernd und entspannend ein. So kann Lebensqualität gespürt werden und Lebendigkeit bis zum letzen Atemzug.

Die begleitende Berührung in der Atembehandlung löst oft ein tiefes Berührt-sein im Menschen aus und weckt auch geistige und spirituelle Ressourcen. Es kann leichter werden und es kann vielleicht ein Stück Lebensqualität zurück gewonnen werden, ein Stück Herzensfreiheit, ein Stück Gedankenspielraum, etwas Freude.

Die Begründerin der Hospizbewegung, Dame Cicely Saunders, sagte zur Hospizarbeit: Es geht nicht darum dem Leben mehr Tage hinzuzufügen, sondern den Tagen mehr Leben.

Einblicke in die Palliative Atembehandlung

Als Atemtherapeutin im Palliativbereich arbeite ich mit schwerkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen im Feld von Atemnot, Verwirrung, Schmerz, Angst, Verzweiflung, Trauer, manchmal auch Wut. Es geht um Abschied und Los-lassen, Geschehen-lassen. Aber auch um Hingabe, Vertrauen, Mut. Um Annehmen und um tiefstes Wachstum im geistig-seelisch-spirituellen Sinne.
Das, was die Palliative Atemtherapie im Kern ausmacht, ist kaum in Worte zu fassen. Denn es findet in der Stille der tiefen, höufig eher unbewussten Begegnung statt. In einem wort- und manchmal auch denkfreien, 'gedankenlosen' Raum der Tiefe auf dem Boden des gemeinsam Menschlichen.
Der folgende Artikel, der in der Zeitschrift des Berufsverbandes Atem (BVA) erschienen ist, kann Ihnen einige Einblicke ermöglichen.

Es erlischt der Wohlgeruch deines Atems

Es erlischt der Wohlgeruch deines Atems. So bezeichneten die Maya den Tod. Dieses Zeichen war das Symbol dafür.

Buchtipp

Bausewein, Claudia: Sterben ohne Angst.
Was Palliativmedizin leisten kann
2015 Kösel Verlag ISBN 978-3-466-37136-5

Borasio, Gian Domenico: Über das Sterben
Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen
2012. C.H.BECK ISBN 978-3-406-61708-9

Wirkunsweise

Der Atem verbindet Körper, Seele und Geist miteinander.
Zunächst begegnet der Atem uns als körperliche Funktion. Doch die Art und Weise, wie ein Mensch atmet – flach, schnell, tief, gehalten oder frei – gibt Aufschluss darüber, wie es diesem Menschen geht oder auch, wie er im Leben ist. Gelassen oder voller Angst, traumatisiert oder froh, verärgert oder gelangweilt, traurig oder froh gestimmt.
In der Atemtherapie wird geübt, die eigene Atembewegung bewusst wahrzunehmen.
Um das zu ermöglichen, begleiten und verdeutlichen die Hände der Atemtherapeutin in der passiven Behandlung den Atemstrom des liegenden Klienten. Hierbei gibt es keinen richtigen oder falschen Atem, sondern jeder Atem ist ein wichtiger leib-seelischer Ausdruck eines Menschen mit seinen ganz eigenen Erfahrungen in einer bestimmten Lebenssituation. Der Atem kann dabei wie ein Seismograph sein, der anzeigt, wie es gerade geht. Wird der Atem nicht manipuliert, macht der Klient die Erfahrung, ganz in seiner Eigenart angenommen zu werden. Das führt nach und nach zu einer tiefen Entspannung, in der Atemmuster aufgegeben werden können, die dem Menschen hinderlich sind. Beispielsweise kann Atemnot, die in Angst besetzten Situationen auftritt, oftmals gelöst werden.
Der frei fließende Atem bewirkt in der Regel eine Stimmungsaufhellung und erleichtert den Umgang mit seelischen, spirituellen und körperlichen Schmerzen. Es entsteht wohltuende Nähe zu sich selbst.
Atemtherapie ist besonders indiziert bei Angst und Depression sowie bei Atemnot und Schmerzen und in krisenhaften Lebenssituationen.
Atemtherapie ist aber auch ein Weg zu sich selbst und unterstützt Menschen, deren Selbstkonzept unter dem Druck von Krankheit und der Auseinandersetzung mit dem Tod zerbricht. Hilfreich erleben auch Angehörige von Patienten atemtherapeutische Behandlungen. Sie finden hier eine Insel der Ruhe und Erholung.

Ansprechpartnerin Christine Meyne,
Atemtherapeutin Palliativstation Klinikum Großhadern Tel. 089/44007-4947
Weitere Informationen unter
Klinik für Palliativmedizin am Klinikum der Universität München

Was ist palliative Atemtherapie'

Aus einem Dornröschenschlaf erwacht. Eine Fallgeschichte

Bis an die Schwelle begleiten. Ausatmen

... dass das Herz wieder atmen kann
Beispiel einer palliativen Atembehandlung

Bewegung und bewegt werden

Herr S. ist ein 52jähriger Patient mit weit fortgeschrittener ALS (Amyotrophe Lateralsklerose).

Als ich das Zimmer betrete, sitzt Herr S. im Rollstuhl mit dem Rücken zur Eingangstür. Er schaut aus dem Fenster hinaus ins Grüne. Die Terassentür ist offen. Mühsam versucht er den Kopf zu drehen, damit er sehen kann, wer die Tür geöffnet hat und ins Zimmer kommt. Es gelingt ihm nicht. In diesen ersten Sekunden spüre ich deutlich Resignation.
Ich gehe in sein Blickfeld, stelle mich ihm vor. Als er mich sieht, wirkt Herr S. erfreut, dass jemand zu ihm kommt und ich fühle, dass er sich sehr allein – vielleicht auch allein gelassen fühlt. Er sitzt wie erstarrt in dem Rollstuhl, atmet flach und angestrengt mit kaum spürbarer Atemschwingung. Immer wieder hält er wie im Schreck die Luft an.
Mein Eindruck, dass er wie “unschuldig verurteilt” festgesetzt ist und zur Bewegungslosigkeit “verdammt” ist, vertieft sich. Er versucht zu sprechen, kann die Worte aber nicht klar formulieren und möchte schon aufgeben. Ich ermutige ihn dennoch weiter die Stimme zu benutzen, denn das ist schon eine erste Atemanregung und Schwingung, die seine Bewegungslosigkeit etwas lösen kann.
Er möchte, dass ich seine Arme, die eng auf den Oberschenkeln liegen, auf die Stuhllehne hebe. Ich tue das sehr achtsam und langsam, damit er innerlich den Weg seiner Arme mitgehen kann.
Durch die Verlagerung der Arme entsteht etwas mehr Luft zum Brustkorb hin und in den Achselhöhlen etwas Weite und damit auch wieder mehr Spielraum für Atemschwingung im Brust- und Herzbereich. Er antwortet mit einem weichen stillen Lächeln und mit tiefem Durchatmen und Seufzen.
Ich frage ihn, ob ihm diese sanfte Bewegung und die dadurch entstandene Weite gut getan habe. Er nickt und murmelt und stimmt zu, dass wir so weiter arbeiten. Ich bitte ihn, zu spüren wie sein Atem kommt und geht. Ich sage ihm auch, dass er die Augen schließen kann, wenn er möchte, weil das das Lauschen nach innen vertiefen kann. Auch Töne, wie Grummeln, Murmeln, Seufzen etc. soll er zulassen, wenn er das Bedürfnis danach verspürt.
Ich bewege weiter seinen rechten Arm und seine Hand im Handgelenk.Tiefes erleichtertes und erleichterndes Seufzen wird dadurch ausgelöst, lösender Ausatem. Sein Arm lässt sich bald leichter bewegen, er schließt die Augen und überlässt sich dem Bewegt-werden immer mehr.
Immer wieder kommt tiefer genussvoller Ein- und Ausatem der befreiend und weiter lösend und von innen weitend und entspannend wirkt. Etwas in ihm gibt nach, öffnet sich, das Bewegt-werden kann tiefer sinken. Das angespannte Gesicht wird weicher, der Unterkiefer und der Hals entspannen sich. Sein Atem kommt jetzt ruhig und tiefer als vorher. Es ist deutliche Atemschwingung zu sehen und zu spüren. Immer mal wieder gähnt er herzhaft oder seufzt wohlig. Er entspannt sich zunehmend.

Herr S. genießt das Bewegt-werden und lässt die innere Antwort darauf geschehen, die sich im Atem durch Seufzen, entspanntes Ausatmen und Durchatmen zeigt. Er wirkt gelöst, entspannt und erleichtert. Es erscheint jetzt auch so, als sei er an seinen Rollstuhl angeschmiegt. Sein Atem geht rhythmisch und schwingend. Als die Behandlung zu Ende ist lächelt er weich und offen und bittet mich, bald wieder zu kommen. Zum Abschied versucht er, mir die Hand zu geben.